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Interview vor Thüringen-Wahl: Herr Ramelow, haben Sie Ängste vor Kriminalität nicht ernst genug genommen?

AfD, BSW und CDU machen Innere Sicherheit und Asyl zu einem großen Wahlkampfthema. Hat Bodo Ramelow hier gepennt?

Ramelow vor Thüringen-Wahl im Interview.
© IMAGO / Horst Galuschka, IMAGO / ari

Landtagswahl 2024 in Thüringen: Interview mit dem Ministerpräsidenten Bodo Ramelow

Anlässlich der Landtagswahl 2024 in Thüringen sprachen wir mit dem Thüringer Ministerpräsidenten Bodo Ramelow.

Die AfD holt in Umfragen vor der Thüringen-Wahl um die 30 Prozent und Wagenknechts BSW könnte möglicherweise sogar zweitstärkste Kraft werden (mehr dazu hier: Neue Paukenschlag-Umfrage!). Bodo Ramelow und seine Linkspartei sind abgehängt und chancenlos. Liegt es auch daran, dass die Partei Ängste und Sorgen in der Bevölkerung nicht ernst genug genommen hat? Hat man das Thema Innere Sicherheit verpennt?

+++ Weiterer Artikel zum Interview mit dem Ministerpräsidenten: Bodo Ramelow wettert noch einmal gegen CDU-Voigt! „Fand ich damals sehr befremdlich“ +++

Durch den Anschlag in Solingen gewinnt das Thema erneut an Brisanz. Gefühlt hat das Sicherheitsgefühl der Deutschen in den vergangenen Jahren deutlich abgenommen. Im öffentlichen Raum, ob an Hauptbahnhöfen oder auf Volksfesten, scheint jederzeit alles möglich zu sein. Selbst in Provinzstädten. In unserem Gespräch mit Bodo Ramelow, das wir vor der Tat in Solingen führten, geht der Ministerpräsident auf die Debatte um die Sicherheit ein.

Ramelow zur Sicherheitslage: „Greifen zum Messer ist eine Modeerscheinung geworden“

Dabei plädiert Bodo Ramelow dafür, die Kriminalitätsstatistik differenziert zu betrachten. Ob man wirklich anhand dieser polizeilich erfassten Daten ablesen könne, dass es immer gefährlicher werde in Deutschland, stellt er indirekt in Frage.

„Da sind teilweise Sachen als strafrechtlich relevant aufgenommen worden, bei denen ich sage, die haben eigentlich gar nichts damit zu tun. Das mittlerweile Schwarzfahrten und ähnliches in der Statistik auftauchen, verdeckt ja die Frage, wie viele der Taten auf Leib und Seele gerichtet sind.“

Bodo Ramelow im Gespräch mit Thüringen24

Zudem will er es im Gespräch mit unserer Redaktion auch nicht so stehen lassen, dass das Messer-Problem vor allem mit Geflüchteten zusammenhänge.

„Am Ende sieht man, dass diese Form von Gewalt auch bei jungen Leuten deutscher Herkunft vorkommt. Das Greifen zum Messer ist offenkundig zu einer Modeerscheinung geworden.“

Bodo Ramelow im Gespräch mit Thüringen24

Ministerpräsident vor Thüringen-Wahl: „Angst wird im Moment getriggert“

Doch schiebt die Linkspartei damit nicht gesellschaftliche Probleme beiseite, weil sie nicht ins linke Gesellschaftsbild passen? Macht man damit nicht Parteien wie AfD und BSW stärker, die das Thema Asyl und Ausländerkriminalität massiv im Wahlkampf bedienen? Auch die CDU versucht die Menschen hier abzuholen (>>> Spitzenkandidat Mario Voigt im Interview mit Thüringen24 über Asylbewerber).

Der Ministerpräsident verneint auf Nachfrage vehement, dass man Sorgen und Ängste in der Gesellschaft nicht ernst genug nehme.

„Wir stehen gerade in einem Wahlkampf, der nur noch von Gefühlen geprägt ist. In dem rationale Argumente so gut wie gar nicht vorgetragen und gehört werden. Das ist ein Problem. (…) Ich bestreite nicht die Kriminalitätsstatistik, aber die muss man auseinandernehmen, um am Ende die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Wenn wir uns am Ende nur noch von Angst treiben lassen, dann werden wir nicht zu Lösungen kommen. Wir erleben, dass Angst im Moment getriggert wird.“

Bodo Ramelow im Interview mit Thüringen24.de

„Das Problem in Apolda gibt es. Es ist real“

Indirekt aber kritisiert Ramelow dann doch Teile seiner Partei im Hinblick auf die gesellschaftlich dominierende Debatte um Innere Sicherheit. Angesprochen auf den Fall des immer wieder straffälligen und abgelehnten Asylbewerbers aus Apolda (hier weitere Hintergründe), erklärt Ramelow, dass man Dinge klar benennen müsse.

„Der Fall in Apolda ist im Strafrecht angesiedelt. Eine Person, die das Recht auf Asyl mit Füßen tritt und sich klar gegen alle Regeln verhält. Wenn man dann auch als Partei nicht willens ist, diese Differenzierung auszusprechen, dann wird’s zum Problem. Weil dann alle anderen gefühlt hören, dass man leugnet, dass es das Problem gibt. Aber das Problem in Apolda gibt es. Es ist real.“

Bodo Ramelow gegenüber Thüringen24.de

Gleichzeitig, so betont es der Thüringer Ministerpräsident, sei es aber auch Realität, dass es „Schikane gegenüber Geflüchteten gibt“. Die Bundesländer Sachsen und Thüringen hätten die höchsten Angriffsraten auf Asylbewerber zu verzeichnen. „Wenn wir über ‚Messermänner‘ reden und anschließend Asylbewerber das Gefühl haben, selber Freiwild zu sein, ist das dieselbe Angstthematik“, so der Landesvater.

+++ Der Ministerpräsident im Gespräch mit Thüringen24: So will Bodo Ramelow Gen-Z zu den Wahlurnen bewegen +++

Ramelow wünscht sich Blitz-Urteile bei jugendlichen Tätern

Ramelow fordert viel raschere Gerichtsverfahren, also ein engeres Zusammenspiel zwischen Polizei und Justiz, gerade bei jugendlichen Täter. Es müsste „viel schneller eine spürbare Sanktion folgen“, denn das würde dann Eindruck auf die Täter machen.


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Dass eine von anderen Parteien geforderte flächendeckende Videoüberwachung ein Lösungsansatz sein könnte, bezweifelt Ramelow. Man sehe in London beispielsweise, dass Kriminalität dann in Schattenbereiche verdrängt werde.

„Vor zwei Jahren wurde eine Gruppe junger Leute vor der überwachten Staatskanzlei von Neonazis zusammengeschlagen. Diese Täter haben sich nicht abhalten lassen von der Totalüberwachung. Man sieht auf den Videosequenzen, was da geschehen ist. Die Videokameras haben den Betroffenen nicht geholfen, sie sind sehr hart zusammengeschlagen worden.“

Der Thüringer Ministerpräsident gegenüber unserer Redaktion

Durch Videoüberwachung könne man Täter nicht abschrecken, ist Ramelow überzeugt. Zumal es auch um „die Interessen der unbescholtenen Bürgerinnen und Bürger“ gehen müsse. „Die Frage ist, ob die Mehrheit der Bevölkerung sich eine permanente Totalüberwachung gefallen lassen muss.“