In Deutschland hat das politische Worst-Case-Szenario Einzug erhalten. Im November lässt Olaf Scholz die Ampel platzen, das Plenum entzieht dem SPD-Politiker wenig später das Vertrauen. Resultat der Farce ist die vorgezogene Bundestagswahl am 23. Februar. Deutschlands Nachbarn hoffen auf einen baldigen Aufschwung.
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Die Sorgenfalten wurden nicht nur bei der Berliner Opposition immer größer, sondern auch in Warschau. Die Regierung um Ministerpräsident Tusk hat sich von der Ampel deutlich mehr versprochen, so Tomasz Lejman im Interview mit unserer Redaktion. Er ist politischer Korrespondent in Berlin, berichtet für den polnischen Sender „TV Polsat“ und sitzt im Vorstand des Vereins der Ausländischen Presse.
Polen: Hoffen auf stärkeres Ukraine-Bekenntnis nach der Bundestagswahl
Herr Lejman, am 23. Februar findet in Deutschland die vorgezogene Bundestagswahl statt. War das die richtige Entscheidung?
Tomasz Lejman: Die Entscheidung war richtig. Ich habe als Korrespondent erlebt, dass diese Regierung nicht so gearbeitet hat, wie wir es uns vorgestellt hatten. Es war daher keine Überraschung, dass die Koalition zerbrochen ist. Ich bin überzeugt, dass die Sozialdemokraten vom Wähler deutlich abgestraft werden.
Wie hat sich die deutsch-polnische Beziehung unter Scholz entwickelt?
Tomasz Lejman: Sowohl Berlin als auch Warschau hatten man sich im Anschluss an die letzte Bundestagswahl ein anderes Verhältnis erhofft. Als Tusk im Dezember 2023 zum Ministerpräsidenten ernannt wurde, dachten viele, dass nun eine Aufbruchsstimmung einsetzen würde. Diese gab es zwar, doch sie bedeutete keinen vollständigen Kurswechsel. Tusk hat sich nicht öffentlich hinter Scholz gestellt – schließlich gab es viele Differenzen, insbesondere in der Ukraine-Politik. Ich gehe davon aus, dass sich dies mit Merz ändern könnte. Als Merz vor einigen Wochen in Kiew war, suchte er im Anschluss das Gespräch mit Tusk und reiste nach Warschau [10. Dezember 2024]. Dabei stand vor allem die Ukraine im Mittelpunkt der Gespräche.
Was konkret fordert Polen in Hinblick auf die Ukraine?
Tomasz Lejman: Ich glaube, in Polen ist man an dieser Stelle ziemlich enttäuscht von Deutschland. Scholz hat sich als der größte Geldgeber und Unterstützer in Europa präsentiert, aber Polen hatte sich mehr erhofft. Was die polnische Regierung besonders verärgert hat, ist die Tatsache, dass Scholz stets auf das gewartet hat, was Biden gesagt oder getan hat. Polen hatte bereits vor zwei Jahren die Lieferung von Patriot-Abwehrsystemen an die Ukraine gefordert – auf eine deutsche Initiative wartete man jedoch vergeblich. Dasselbe galt für die Lieferung von Leopard-Panzern. Scholz hat stets betont, dass man in der EU in Sachen Ukraine-Unterstützung die Vorreiterrolle übernommen hat.
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Wie steht es denn um das deutsche Image innerhalb des Bündnisses?
Tomasz Lejman: Wir befinden uns in der EU derzeit in einer Situation, in der wir ganz anders handeln müssen. Polen und andere Partner wollen nicht länger, dass die „östliche Politik“ ausschließlich in Berlin und Paris bestimmt wird. Polen möchte hier eine aktive Rolle spielen – und das geschieht allmählich auch über das Weimarer Dreieck [ein Forum zwischen Deutschland, Frankreich und Polen]. Darüber hinaus brauchen wir jedoch weitere Formate, denn diese Vielfalt macht Europa stark. (…) In Warschau gibt es außerdem Stimmen, die fordern, dass Europa souveräner werden und mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen muss – insbesondere durch höhere Verteidigungsausgaben. Sicherlich mit einem starken Deutschland nach der anstehenden Bundestagswahl, aber nicht als einzigem Akteur.
Sieht man Deutschland denn überhaupt noch als federführende Kraft an?
Tomasz Lejman: Deutschlands europäische Position ist, insbesondere durch seine Innenpolitik und die schweren wirtschaftlichen Probleme, schwächer geworden. Ich sehe Deutschland nicht mehr als Wirtschaftsmotor. Ich sehe seit drei/vier Jahren einen bröckelnden Wirtschaftsstandort und das sehen die übrigen Partner auch so. Das ist eine katastrophale Entwicklung. Deutschland hat beim Thema Transformation viel verspielt und vergessen. Auf der einen Seite ist man in Polen deswegen besorgt, weil man von einem wirtschaftlich starken Deutschland abhängig ist. Das gilt beispielsweise für die vielen Autozulieferer. Andererseits wird die deutsche Schwäche auch als Chance gesehen, denn jetzt kann Polen seine eigene Position stärken.