Die CDU sieht sich seit dem Entschließungsantrag für eine schärfere Migrationspolitik mit einer breiten Welle der Empörung konfrontiert. Auslöser war weniger der Inhalt des Antrags, sondern vielmehr die Tatsache, dass er nur aufgrund der Zustimmung der AfD-Fraktion eine Mehrheit im Deutschen Bundestag erhielt. „Wir haben beim Thema illegale Migration Klarheit in der Mitte hergestellt“, meint unterdessen Jens Spahn im Interview mit unserer Redaktion.
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Herr Spahn, die zurückliegende Woche war für die CDU durchaus turbulent. Wie blicken Sie auf die Geschehnisse zurück?
Jens Spahn: Es ist in der letzten Woche einiges klar geworden. Die dreijährige Arbeitsverweigerung von Rot-Grün hat ihren Höhepunkt erreicht. Wir haben beim Thema Begrenzen illegaler Migration Klarheit in der Mitte hergestellt, nämlich wer etwas ändern will und wer nicht. Und es ist deutlich geworden, wessen Geistes Kind die AfD ist – auch mit zum Teil unflätigstem Benehmen. Für die Wählerinnen und Wähler ist in dieser Woche auf jeden Fall einiges klarer geworden.
CDU und AfD: Unterstellung der Zusammenarbeit „fast schon infam“
Wie sah Ihre Gefühlswelt aus, als Sie realisiert haben, dass der Entschließungsantrag nur dank der Stimmen der AfD-Fraktion eine Mehrheit erhält?
Jens Spahn: Ich hätte mir natürlich eine Mehrheit in der breiten Mitte gewünscht. Bei den Grünen merkt man ja, dass sie eine Begrenzung der Migration in der Sache nicht wollen. Bei der SPD nehme ich eher ein taktisches Verhalten wahr: Sie wollen eigentlich begrenzen, wollen jetzt aber auch nicht mithelfen, dass es eine entsprechende Mehrheit gibt. Wir haben unseren Punkt in der Sache gemacht. Aber natürlich existiert ein Unbehagen vor allem mit dem Blick darauf, wie sich die AfD nach der Abstimmung aufgeführt hat.
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Grüne und SPD werfen CDU/CSU „gemeinsame Sache“ mit der AfD vor. Was entgegnen Sie?
Jens Spahn: Freundlich formuliert kann man es als Nebelkerzenwerfen betiteln. Man könnte es aber auch infam nennen. Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD, keine Gespräche und kein gemeinsames Handeln. Wir haben unseren Antrag und unseren Gesetzesentwurf, den wir übrigens schon nach der Tat in Solingen [23. August 2024] eingebracht hatten, zur Abstimmung gestellt. Es ist infam, dass seitens SPD und Grüne etwas anderes behauptet wird. Niemand ist klarer in der Abgrenzung zur AfD als Friedrich Merz. Ich sehe aber nicht, dass Demonstrationen das Vertrauen zurückbringen und den Frust mindern, den AfD Wähler – immerhin jeder Fünfte im Land – haben. Das Einzige, was Frust mindert, was das Feuer löscht, um im Bild der ‚Brandmauer‘ zu bleiben, ist das Entziehen des Brennstoffes. Der Brennstoff ist der Frust und die Wut darüber, dass die Politik die Probleme, unter anderem die illegale Migration, aber auch die Wirtschaftskrise, nicht löst.
Am Rande der Demonstrationen kam es immer wieder zu Ausschreitungen. Frau Klöckner hat dieses Verhalten auf dem CDU-Parteitag scharf verurteilt. Wünschen Sie sich diese Verurteilung auch im öffentlichen Diskurs?
Jens Spahn: Grundsätzlich ist jede Demonstration legitim, auch eine gegen die CDU. Das Demonstrationsrecht werde ich immer verteidigen. Gleichzeitig ist klar, dass die große Mehrheit im Land eine andere Migrationspolitik möchte. Aber es gibt Einzelne, Linksextreme und Antifa, die nicht nur demonstrieren, sondern gewalttätig werden, Geschäftsstellen besetzen, Mitarbeiter und Ehrenamtler bedrohen. Da ist die Grenze überschritten. In dieser Form Meinungen zu unterdrücken, ist nicht in Ordnung. Ich stelle die Frage an die Demonstrierenden, was denn ihre Antwort auf die AfD ist. Glauben sie, dass durch demonstrieren der Frust im Land weniger wird? Grüne und SPD befeuern diese Empörung regelrecht. Dabei haben Grüne und SPD in drei Jahren Ampel-Regierung den Zuspruch für die AfD und den massiven Frust im Land verdoppelt. Dass sich diese Parteien, und Scholz vorneweg, derart empören, halte ich deshalb für zynisch.
Spahn: Grüne sind „Migrationsleugner“
Die Grünen haben auf ihrem Parteitag beschlossen, den Familiennachzug für Migranten erleichtern zu wollen. Das konterkariert die Bestrebungen der CDU. Verschließen die Grünen die Augen vor den Problemen im Land?
Jens Spahn: Bei zu vielen Grünen habe ich den Eindruck, dass sie die Probleme mit irregulärer Migration und zu oft gescheiterter Integration leugnen. Es ist ja häufig ein Problem mit jungen Männern aus dem arabisch-muslimischen Kulturraum. Wer schon das Problem leugnet, der ist natürlich auch nicht zur Lösung, geschweige denn zur Begrenzung bereit. Davor, dass die realen Zahlen gesenkt werden müssen, weil es eine Überforderung in jeder Stadt in Deutschland, in vielen Schulklassen, Arztpraxen und Behörden gibt, verschließen die Grünen die Augen. Darum nenne ich sie Migrationsleugner.
Wenn die CDU angeregt über eine schärfere Migrationspolitik debattiert, wird seitens der politischen Gegner schnell mit dem Begriff Rassismus um sich geworfen. Plakativ gefragt: Warum hat diese Auseinandersetzung nichts mit Rassismus zu tun?
Jens Spahn: Zum einen geht es um ein sozialpolitisches Phänomen. Dass Menschen nach Deutschland einreisen und ab Tag eins Sozialleistungsanspruch haben, in der gleichen Höhe wie Menschen, die hier seit 30 Jahren gearbeitet und Beiträge gezahlt haben, das führt logischerweise zu einer Gerechtigkeitsfrage. Zum anderen geht es um eine kulturelle Prägung. Wenn wir vor allem Probleme mit jungen Männern aus dem arabisch-muslimischen Kulturraum haben, dann ist das ja keine Frage der Ethnie, sondern eine Frage der Erziehung. Dass Männer mehr wert wären als Frauen, dass die eine Religion mehr wert wäre als die andere oder der Hass auf Juden, das ist gelernt und wird in der jeweiligen Gesellschaft vermittelt. Gewaltaffinität hängt natürlich unmittelbar mit verrohten Gesellschaften zusammen. Das sind alles kulturelle Prägungen. Dass insbesondere die Linke an dieser Stelle diese Prägung nicht erkennt, das verwundert mich immer wieder.
CDU-Abstimmung: Lassen uns von Rot-Grün nicht diktieren
Die AfD steht in aktuellen Umfragen zwischen 20 und 23 Prozent. Kann man das Credo, dass man Anträge und Entwürfe kippen müsse, wenn die AfD zustimmt – so zumindest kamen die Aussagen von Grünen und SPD bei vielen Bürgern an – da überhaupt an den Tag legen?
Jens Spahn: Wir haben eine Minderheitsregierung und da stellen wir natürlich, wie in der Vergangenheit auch, zur Abstimmung, was wir für richtig halten. Es kann nicht sein, dass eine rot-grüne Minderheit am Ende bestimmt, was die Opposition für Anträge stellen darf. Es kann übrigens auch nicht sein, dass nach Aschaffenburg und Magdeburg, nach diesen fruchtbaren, bestialischen Taten, keine Antwort aus der Mitte des Parlaments heraus möglich war. Man muss sich einmal vorstellen, die CDU hätte ebenfalls geschwiegen und einzig die extreme Rechte hätte Maßnahmen gefordert. Deswegen haben wir beschlossen, dass wir eine Antwort geben wollen, diese zur Abstimmung stellen und uns nicht davon abhängig machen, ob Claudia Roth damit einverstanden ist.
Sind Sie eigentlich enttäuscht von der FDP? Der Gesetzesentwurf ist ja auch an den Abweichlern aus den Reihen der Liberalen gescheitert.
Jens Spahn: Ich war etwas überrascht, dass Führungsmitglieder der FDP-Fraktion in so großer Zahl ihrem Vorsitzenden nicht gefolgt sind. Das sind aber Fragen, die die FDP-Fraktion intern klären muss. (…) Wir haben in der Sache mit der Führung der FDP eine große Einigkeit gehabt und es gab auch ein gemeinsames Angebot in erster Linie an die Sozialdemokraten, über den Entwurf zu reden. In dem konkreten Gesetzesentwurf geht es wohlgemerkt nur um Inhalte, die wir mit der SPD entweder schon einmal zusammen umgesetzt haben oder um solche, die die 16 Ministerpräsidenten, auch die der SPD, wollen. Wir haben es mit verschiedensten Kompromissen versucht, beim Familiennachzug, der Härtefallregelung und der Befristung, aber das ist alles nicht gewollt gewesen. Mit der FDP waren wir uns im Inhalt und im Vorgehen einig und das hätte ich mir auch mit der SPD gewünscht.
Spahn: „Das ist gesellschaftlicher Sprengstoff“
Was wiegt für Sie schwerer? Die Migrationspolitik oder die Wirtschaftskrise samt anhaltender Rezession?
Jens Spahn: Am schwersten wirkt die Kombination. Eine schrumpfende Wirtschaft bedeutet Verteilungskämpfe innerhalb der Gesellschaft. Der Kuchen wird kleiner und jemand kann nur mehr haben, wenn ein anderer weniger hat. Das ist die Logik eines kleineren Kuchens. Verteilungskämpfe bei gleichzeitiger illegaler Migration in der aktuellen Größenordnung sind der Brandbeschleuniger schlechthin. Darum müssen beide Themen in den Mittelpunkt der Debatte gerückt werden und beide haben langfristig erhebliche Folgen. Dass unsere Wirtschaft zwei Jahre in Folge geschrumpft ist, wirft uns international massiv zurück. Die USA sind in vier Jahren um acht Prozent gewachsen. Wir um 0,5. Mit jedem Quartal, in dem sich dieses sechszehnfache Wachstum der USA fortsetzt, fallen wir weiter zurück. Mit jedem Tag, an dem illegale Migration weitergeht, wird das Problem der Verteilung größer. Es braucht jetzt eine Antwort auf beide Themen, jedes Weiter-So ist gesellschaftlicher Sprengstoff.
Auf dem Parteitag der CDU waren viele Vertreter von Industrie, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften vor Ort. Welche konkrete Hoffnung stecken sie in Friedrich Merz?
Jens Spahn: Friedrich Merz hat Wirtschaftskompetenz und er kann führen, das bezweifelt niemand. Ich bin mir sehr sicher, dass wenn wir den Regierungswechsel schaffen und Friedrich Merz Kanzler wird, wir unser Sofortprogramm umsetzen, wird allein das zu einem Prozent Wachstum führen, weil die Stimmung im Land wieder besser wird. Ludwig Erhard hat einst gesagt, dass Wirtschaft zu 50 Prozent Psychologie ist. Unter Rot-Grün, in erster unter Linie Robert Habeck, waren es jetzt 100 Prozent Depression. Schon die Tatsache einer neuen Regierung bringt Zuversicht und somit Wachstum zurück. Das werden wir dann mit konkreten Maßnahmen unterlegen. Es gibt eine große Erwartung der Gewerkschaften und der Arbeitgeber darin, dass wir diese Wende schaffen.
Was genau hat Robert Habeck als Wirtschaftsminister denn verkannt?
Jens Spahn: Robert Habeck glaubt, er wisse als Minister am besten, wer noch wo investieren darf. Er versucht über Subventionen zu steuern, wo noch investiert werden kann in diesem Land. Er versteht nicht, dass wir hausgemachte Probleme haben. Er verweist immer auf China und Russland, aber das wird den gegenwärtigen Umständen keinesfalls gerecht. Er verkennt, dass die hohen Energiekosten und diese verrückte Energiepolitik unserer Industrie massiv schaden. Er fährt durch das Land und redet über Wärmepumpen und Windräder – alles wichtig. Aber die Zukunft Deutschlands entscheidet sich jetzt nicht nur an Wärmepumpen. Er setzt einfach die Schwerpunkte falsch.
Bundestagswahl: Grüne beharren auf Energie-Ideologie
Christian Lindner wirbt, auch mit Blick auf die Wirtschaftspolitik, sehr offensiv mit Schwarz-Gelb. Gehen Sie da mit?
Jens Spahn: Mit der FDP haben wir sicherlich die größten inhaltlichen Überschneidungen. Dafür muss die FDP aber erst einmal ihren internen Streit klären, der ja seit Freitag offensichtlich sind. Jeder tritt für sich selbst an. Ich weiß nur eins: Eine FDP, die nachher bei drei Prozent steht, das sind drei Prozent, die uns für einen Politikwechsel fehlen. Schwarz-Gelb wäre in der Sache sicher am leichtesten, es muss dafür aber auch eine Stärke vorhanden sein, die ich bei der FDP aktuell nicht sehe.
Schließen Sie eine Koalition mit den Grünen ebenfalls aus? Oder sind Sie in dieser Hinsicht etwas toleranter als Herr Söder?
Jens Spahn: Ich sehe nicht, wie wir mit diesen Bundes-Grünen, die die Migration ausweiten wollen, die die Probleme nicht sehen, die ihre ideologische Energiepolitik fortsetzen wollen, die Probleme Deutschlands lösen könnten. Ich verstehe auch nicht, wie man sich als Teil der Ampel, die unser Land in die Krise reingeritten hat, so selbstbewusst hinstellen kann. Die Grünen müssten sich inhaltlich sehr verändern, damit das gehen kann.